Die vEveresting Challenge – 8848 hm am Alpe du Zwift
Seit der Erfindung von Zwift macht Rolle fahren plötzlich Spaß. Meine längste Rolleneinheit lag so ungefähr bei 3:30 h. Schon eine lange Zeit, wenn man bedenkt, dass man sich keinen Meter von der Stelle bewegt und man trotzdem oder gerade deshalb schwitzt wie in der Sauna. Die bunte Welt in Watopia macht einfach Laune und es ist extrem motivierend mit Radsportlern und Triathleten auf der ganzen Welt gemeinsam zu fahren. Aber warum zur Hölle, muss es gleich ein ganzes Everesting auf Zwift sein? Nach unserer erfolgreichen Everesting-Challenge im September in Garbeck (Nadja und Nele finishten gemeinsam mit mir) war unsere Stimmung enthusiastisch. Mit stolzer Brust nach unserem noch frischen Erfolg neigten wir leicht zum Übermut. Schnell stand der Termin für ein gemeinsames Virtuelles Everesting auf Zwift am 21.11.2020. „Ach, virtuell ist das viel einfacher als auf der Straße“, versuchte ich die anfangs noch skeptische Nadja zu besänftigen. Im Training fuhr ich den „Alpe du Zwift“ dann zur Probe 3 mal hintereinander hoch, auch um das Drehen zu testen und um ein Gefühl für das Bevorstehende zu bekommen. Uuuups! 8,5% Steigung im Durchschnitt mit „Trainerschwierigkeit 100%“ (Einstellungen auf Zwift) fühlen sich brutal an, aber realistisch! Was tun? Ich war während dieser Einheit deutlich über meinem Wohlfühlbereich. So würde ich keine 8,5 Wiederholungen schaffen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als die Übersetzung anzupassen. Mit 52/36 und 11-32 startete ich einen weiteren Versuch und fühlte mich schon etwas besser. Die Betonung lag auf „etwas“. Aber da ich diese Übersetzung auch in den Alpen gefahren bin und irgendwie zurecht kam, war mein Motto: „Ist mir egal, ich lass‘ das jetzt so!“
vEveresting Basecamp als Generalprobe
Zufällig sahen wir auf Facebook, dass eine nette Gruppe verschiedener Jungs eine Woche vor unserem Vorhaben ein halbes vEveresting plante. Mitfahrer waren willkommen und unsere Entscheidung fiel spontan, uns dort anzuschließen, als Generalprobe sozusagen. Mein Coach war weniger begeistert, wie ich seiner Nachfrage entnahm, ob es denn wirklich nur eine Woche vor unserem großen Tag sein muss. Doch der Termin stand und es gab kein Zurück mehr. Abgemacht ist abgemacht. Aber später sollte ich noch einmal an seine zurückhaltende Skepsis erinnert werden…
Samstag 14.11.2020 um 8:00 Uhr: Der WahooKickr und der WahooClimb stehen samt Rennrad auf meinem Balkon und warten auf den Start auf der Route „Road to Sky“. Unser Zoom-Meeting ist gestartet und die anderen Mädels strampeln schon. Der erste Anstieg fühlt sich zäh an, wie immer. Doch dann läuft es. Die Sonne scheint und es wird richtig warm auf meinem Balkon. Perfektes Radwetter eigentlich, das war so für Mitte November nicht geplant. 4 Mal und noch ein bisschen müssen wir den Anstieg bewältigen, um Finisher eines Basecamp-Everestings zu sein. Nach jedem Anstieg folgt die Abfahrt, bei der man seinen Avatar getrost alleine mit über 65 Sachen herunterballern lassen kann. Nach ca. 11:30 Min., die man für Umziehen und Verpflegung nutzen sollte, schwingt man sich wieder aufs Rad und weiter geht es, mehr oder weniger ausgeruht. Nach 5:05:48 Std. war nicht nur das Basecamp (4424 hm) erreicht, sondern auch das Matterhorn (4478 hm). Mittlerweile hatte ich Kopfschmerzen, trotz viel Trinken und Salztabletten. Aber ich fühlte mich bereit für den „Raceday“ am kommenden Samstag.
Eine Art Taperwoche lag vor mir. Mittwoch stieg ich nochmal auf mein Rad und fuhr noch mal kurze Belastungsspitzen. AUTSCH! Was ist das? Sind das meine Beine, die da so gar nicht wollen? Nun erinnerte ich mich an das Telefonat mit meinem Trainer… War die Belastung eines halben Everestings nur eine Woche vor dem eigentlichen Höhepunkt doch zu viel? Schließlich absolviere ich auch keine Mitteldistanz nur eine Woche vor einem IRONMAN. Ich begann zu zweifeln, machte mir zusätzlich Gedanken über meine gewählte Übersetzung. Ich hatte mal wieder die Hosen voll!
Raceday – 8848 hm auf Zwift
Samstag 21.11.2020, 7 Uhr. Zusammen mit den Mädels (Beate Görtz, Nadja Kuhn, Stefanie Schillings und Nele Dönneweg) wagte ich mich an das Abenteuer. Die Mädels waren schon gegen 5 Uhr gestartet, da sie etwas länger einplanten. Das Thermometer auf unserem Balkon zeigte nur 2°C und ich fuhr in langer Hose und Handschuhen. Die Dämmerung erweckte ein paar Lebensgeister und ich versuchte mich mental auf die ersten vier Anstiege zu fokussieren. Bis dahin hatte ich es schon einmal geschafft, dann war es ja nur noch das gleiche nochmal und ein bisschen mehr. Uaahhhh! Meine Beine waren nicht die frischesten. Ab dem dritten Anstieg (der schnellste in 56:43 Min.) lief es super, ich lag im Soll meines selbst erstellen Marschplans für eine Zielzeit von 10:00 Std. Dann das wieder Anfahren nach der Abfahrt zu Auffahrt Nr. 5: Schock!!! Mein Avatar bewegt sich nicht mehr! Der WahooKickr hatte keine Verbindung mehr zu meinem Laptop. „Das war’s“, dachte ich. Denn die Aufzeichnung muss als eine zusammenhängende Einheit zu STRAVA hochgeladen werden. Geschieht dies nicht, ist mein vEveresting ungültig. „NEIIIIN!!!“ Ratlosigkeit meinerseits, Problemlösungsstrategien meines Freundes Uli andererseits. Ist es nicht schön, wenn man sich in einer Beziehung ergänzt?! Okay, ich gebe zu, ich habe zur Problemlösung nichts beigetragen, war aber froh, als nach 11 Minuten Zwangspause alles wieder lief und meine Fahrt nicht unterbrochen war. Ich war weiterhin im Spiel und durfte mich weiter quälen. Meine angestrebte Ziel-Zeit war allerdings nicht mehr zu erreichen. Nun ging es um ein gutes Finish. Doch dass ein virtuelles Everesting nicht leichter ist, als ein reales, sollte ich nun zu spüren bekommen. Ich wurde automatisch langsamer, die Oberschenkel machten sich bemerkbar und die Wattwerte sanken. Ansonsten ging es mir gut. Mein Kopf war, anders als letzte Woche, okay und auch die Aufnahme der Verpflegung klappte gut. Meine neueste kulinarische Entdeckung war Milchschnitte in Kombination mit gesalzenen Erdnüssen. Über den Tag entwickelt man schnell eine Routine, sobald man am Gipfel unter dem Torbogen gedreht hat und in die heiß ersehnte Pause darf: Absteigen, ausziehen, abtrocknen, frische Klamotten anziehen, Klo, Küche, Verpflegung reinschaufeln, zwischendurch immer hektisch auf die mitlaufende Stoppuhr gucken und sich wundern, wie schnell doch wieder 11 Minuten vergehen, wo doch Intervalle auf dem Rad in dieser Größenordnung wie eine halbe Ewigkeit erscheinen. In der 8. Auffahrt bekommt man dann die zweite Luft, denn es ist ja der letzte Anstieg, den man komplett hinauf fährt. Endspurt! Auffahrt Nummer 9, fast am Ziel. Die Mädels waren auch noch munter am treten und die Konversation in der Gruppe nahm wieder an Fahrt auf. Wir waren zwischenzeitlich ruhiger geworden und jeder hatte sich mit seiner Motivationsmusik am Ohr auf sein eigenes Leid fokussiert. „Und, sollen wir die 10.000 hm voll machen?“, vernahm ich von Beate, die kurz vor mir fuhr und als erste die 8848 hm erreichen sollte. „Whaaat?“… Beates lockerem Pedalieren (via Zoom) und entspanntem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wusste ich sofort, dass sie es ernst meint. „Wenn man schon mal dabei ist…“, war ihre durchaus logische Erläuterung. „Ohne mich! Ich steige vom Rad, wenn ich den Mount Everest erreicht haben, keinen Meter mehr!“ Meine Beine waren durch, der Kopf auch. Respekt, liebe Beate, dass Du das durchgezogen hast.
Nach 10:18:25 Std. finishte ich mein virtuelles Everesting und freute mich auf die warme Dusche (ja, es war den ganzen Tag über ziemlich frisch auf dem Balkon!) und die After-Race-Verpflegung, die anders als letzte Woche nicht aus Junkfood bestand 😉 Auch der Rest der Crew finishte das Abenteuer mit jeweils tollen Ergebnissen und einer bleibenden Erinnerung an diese gemeinsame Aktion in Corona-Zeiten.
Verena Walter – 8856 hm
10:18:25 Std.
Beate Görtz – 8848 hm / 10.000 hm
12:25:00 Std. / 14:13:14 Std.
Steffi Schillings – 8849 hm
13:25:08 Std.
Nadja Kuhn – 8855 hm
14:00:55 Std.
Nele Dönneweg – 8849 hm
14:10:41 Std.